Geschichtliche Stimmungsbilder aus vier Kriegen innerhalb von achtzig Jahren.
Patriotismus 1866, 1870-71, 1914-18 und 1939-45
von Alfred Wolter
Ich bin ein Preuße! – Hurra Viktoria!
Sang man einst auch in den Schulen der heutigen Stadt Schleiden.
Man war: Patriot! Soldat! Oder ein Scheißkerl.
Die Gemeinde Dreiborn ist nach dem allerhöchsten Patente im Jahre 1815 der Krone Preußens zugefallen, heißt es in der Ortschronik. Kaisermanöver und später der Kanonendonner des Truppenübungsplatz Elsenborn, erinnerten, begünstigt durch steten Westwind, die Bewohner auf der Dreiborner Höhe daran, dass sie endlich ein Vaterland hatten. Sie gewöhnten sich gemäß den Eintragungen des Chronisten mit der Zeit an die preußische Ordnung.
Im Mai 1866 begann der Krieg Preußen gegen Österreich. 96 Männer aus der Gemeinde wurden zu den Waffen gerufen. Die siegreichen Soldaten waren am 1. Oktober wieder alle zu Hause. Verluste waren nicht zu beklagen. Am 26. Oktober fand in Dreiborn eine Siegesfeier statt. Die Krieger wurden festlich bewirtet. An dem anschließenden Tanzvergnügen beteiligte sich Jung und Alt. Die Festreden von Dechant Anton Bogen und Bürgermeister Hubert Hilgers endeten „mit einem Hoch auf seine Majestät, unseren erhabenen König“.
Über den Krieg 1870-71 ist in der Chronik zu lesen: Das Jahr 1870 war das glorreichste für unser teures Vaterland. Bei allen deutschen Stämmen und Völkern war die Begeisterung groß. Der Kampfgeist unserer braven Soldaten sollte bald befriedigt werden. Am 1.März 1871 wurde Paris eingenommen. Auf Wunsch der deutschen Fürsten und Völker nahm unser Heldenkönig Wilhelm am 18. Januar 1871 den Titel eines deutschen Kaisers an.
Aus den Dörfern der Gemeinde waren außer den im aktiven Dienst stehenden Soldaten 80 Reservisten und Landwehrmänner einberufen worden. Ein Krieger kehrte nicht zurück.
In allen Orten der Gemeinde wurden im Monat Juli 1871 die durchmarschierenden siegreich heimkehrenden Soldaten auf das freundlichste aufgenommen und verpflegt. Nach zwei siegreichen Kriegen konnte der „Hurra-Patriotismus!“ nicht größer sein.
Viele Bauernsöhne hatten, wie es damals hieß, bei den Preußen gedient. Sie waren Soldat gewesen! Nicht selten sprachen sie, wenn sie auch ein wenig belächelt wurden, zu Hause Hochdeutsch und ließen sich den Bart nach „Kaiserart“ wachsen.
An den Stammtischen wurden angebliche Heldentaten erzählt. Eine blieb in Dreiborn bis heute ein geflügeltes Wort: Ein starker Bauernsohn aus dem Ort, der bei der schweren Reiterei diente, hatte mit der Lanze die feindlichen Fußsoldaten paarweise aufgespießt und über seine Schulter geworfen. Plötzlich sprengte Bismarck mit seinem Streitross neben ihn und brüllte im Kampfgetümmel: „nicht so hüüh Herr Dartenne!“ (nicht so hastig Herr Dartenne, einer nach dem anderen!).
An den Theken grölte man „siegreich wollen wir Frankreich schlagen, sterben als ein tapferer Held!“ Schon in den Schulen wurden die Knaben auf das Soldatenleben vorbereitet. Manöverähnliche Spiele und Übungen fanden statt.
Kein Wunder, dass das Soldatspielen zu ihrem größten Vergnügen zählte und dass es ihnen zu lange dauerte, um dabei zu sein. Im Bescheid zur Musterung stand dann der erste Befehl: „Sie haben körperlich rein in Schleiden zu erscheinen.“ Dort wurde über tauglich oder untauglich zum Wehrdienst entschieden, was nachher stets mit einem Trinkgelage verbunden war. Es wird erzählt, dass sich einige Dreiborner auf dem Weg zur Musterung unterwegs hinhocken mussten. Tempotaschentücher waren noch unbekannt, mit Gras wurde abgeputzt. Als sie sich beim Arzt der Reihe nach zwecks Untersuchung nackt bücken mussten, soll der gebrüllt haben „ab zur Artillerie! Euch Bauernburschen wächst ja das Pferdefutter am Arsch raus!“ Oft genug mussten die Ausgemusterten, den Tränen nahe, getröstet werden.
Der Kaiser sagte: „Ich führe euch glücklichen Zeiten entgegen!“. Dabei rasselte er tüchtig mit dem Säbel.
Am 31. Juli 1914 begann der Erste Weltkrieg. Mit der Orts-Schelle wurde am 1. August die Mobilmachung in den Dörfern bekannt gegeben. Viele waren begeistert und wurden, wenn man der Überlieferung trauen kann, von einem patriotischen Hochgefühl ergriffen.
Auf den gegen Westen führenden Straßen im Schleidener Tal und auf der Höhe zogen pausenlos Infanterie-Kolonnen über Belgien nach Frankreich hinein, Kavallerie-Regimenter noch mit Lanzen bewaffnet, Artillerie mit von sechs Pferden bespannten Kanonen. Die Soldaten wollten wie man damals sagte, einen kleinen Spaziergang über die Maas machen. Den Bahnhof Kall passierte alle 10 Minuten ein Militärtransport. Es wurden Bottiche mit Wasser für die Soldaten und ihre Pferde in den Straßendörfern aufgestellt. Die Schulen wurden bis zum 1. September geschlossen. Aus Richtung Belgien hörte man sich immer weiter entfernenden Kanonendonner. Bei der Belagerung Antwerpens vom 20. August bis zum 10. Oktober glaubte man die Abschüsse der „Dicken Berta“, dem größten deutschen Geschütz an der Westfront, welches damals als „Wunderwaffe“ propagiert wurde, zu hören.
Die Zeiten in denen Soldaten in den schönen Uniformen der Ulanen, Husaren und die blauen Dragoner mit ihren Fähnlein an den Lanzen durch die Manöver etwas Abwechselung in das Einerlei des Alttags brachten, waren vorbei.
Es war Krieg! Bald wurde zu Kleiderspenden für die im ersten Kriegswinter frierenden Soldaten aufgerufen. Wer als Patriot gelten wollte, zeichnete Kriegsanleihen. Mit den Aufrufen „Gold gab ich für Eisen“ wurde dafür in allen Zeitungen geworben. Viele kleine Sparer haben gemäß den Unterlagen der Sparkassen diesen Aufrufen Folge geleistet. Ob aus purem Patriotismus oder auf die versprochene hohe Rendite nach einem gewonnenen Kriege hoffend, ist nicht mehr zu ermitteln.
Als dann die ersten gefallenen Helden zu beklagen waren, wurden diese auf den Totenzetteln und im Wochenblatt des Kreises Schleiden verherrlicht. Auf Bildern nahm ein Engel mit mädchenhaften Gesichtszügen, den Gefallenen bei der Hand und nahm ihn auf direktem Wege mit in die ewige Glückseligkeit.
Vielleicht trösteten diese Bilder damals die trauernden Angehörigen? Immer mehr Soldaten starben den Heldentod. Um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen, stellte man Benachrichtigungen im Wochenblatt ein. Selbst Patrioten waren bald nicht mehr vom Kriegsgeschehen begeistert. So hatte man sich die Kämpfe nicht vorgestellt. Es sollte wie in den vorherigen Kriegen ein kurzer siegreicher Waffengang werden.
Am 3. April 1915 wurde das Brot rationiert. Für Familien, die nicht Selbstversorger waren, gab es Nahrungsmittel auf Lebensmittelbücher. Das führte zum Schwarzhandel. Die Bauern mussten von jeder Kuh im Stall wöchentlich ein Pfund Butter liefern.
Es wurden in jedem Ort Kontrollen von spöttisch genannten „Ogderpüüser“ (Euterschätzer) durchgeführt. Der Gendarm passte auf, dass nicht schwarzgeschlachtet wurde. Der Landrat in Schleiden beklagte, dass in vielen Orten die Zugtiere fehlten. Die Hälfte des Pferdebestandes wurde für das Militär requiriert. Ochsen und Fahrkühe mussten angelernt werden. Auf den Höhendörfern wurden die älteren Schulkinder vorzeitig aus der Schule entlassen, um bei der Feldarbeit helfen zu können. Frauen und Mädchen trugen die Hauptlast in den Betrieben.
Ab 1916 wurden die Soldaten mit Stahlhelmen ausgerüstet. Es gab nun 70% weniger Tote durch Kopfverletzungen. In der Gemeinde Dreiborn musste Ödland gerodet werden, damit mehr Getreide und Kartoffeln angebaut werden konnten. Durchhalte Parolen, Drohungen und Bittgesuche wechselten sich ab. Der Kaiser und die Regierung wurden hinter vorgehaltener Hand immer mehr kritisiert.
Die Soldaten an den weit entfernten Fronten waren aber über jede Kritik erhaben. 1917 wurden immer mehr Kirchenglocken eingeschmolzen, um Kupfer zu gewinnen. Die Aufnahme von unterernährten Stadtkindern wurde auf den Predigtstühlen den Bauern dringend empfohlen. Alle sehnten das Ende des Krieges herbei.
In grenznahen Orten war man besorgt, weil aus militärischen Gründen Wegemarkierungen entfernt wurden. Alles was verwertbar war musste gesammelt werden. Das Futter für Militärpferde war so knapp, dass die Schuljugend zum Laubsammeln aufgerufen wurde. In der Zeit vom 22. Juli bis zum 27. September 1918 wurde an 4 bis 6 Halbtagen, das von den Zweigen gerupfte Laub getrocknet und in Säcke gesammelt als „Laubheu“ dem Militär übergeben. Da es an Gespinstfasern mangelte, wurden 500 Kilo frische Brennnesseln mit 43 Mark vergütet. In den letzten Kriegswochen herrschte in unserer Gegend eine gefährliche Grippe, sie wurde „Lungenpest“ genannt. Viele, vor allem junge Menschen, fielen ihr zum Opfer.
Dann war es soweit. Der 9. November 1918 brachte den ersehnten Waffenstillstand. Der Krieg war verloren! Die Soldaten kehrten heim und wurden wie Sieger empfangen. In Schleiden waren viele Häuser mit Fahnen geschmückt. In Dreiborn wurden Militärpferde, die nicht mehr gut zu Fuß waren, im Dorf zurück gelassen. Es gab Extrarationen Pferdefleisch. Nach Abschluss des Waffenstillstands beschlagnahmte man in Schleiden die Schulen zuerst für die heimkehrenden Truppen, danach für die Besatzung. Die evangelische Schule diente als „Store“, Lebensmittellager für kanadische Soldaten und als Annahmestelle für abgegebene Waffen. Bis Ende Januar fiel der Unterricht aus. Als der Schulbetrieb zaghaft wieder aufgenommen wurde, hat man die Kaiserbilder abgehängt. In die vorhandenen Rahmen kamen Künstlerbilder.
„Im Felde ungeschlagen!“, war nun die Parole! Überall auch auf dem Gebiet der heutigen Stadt Schleiden wurden in den folgenden Jahren Heldengedenktafeln und Denkmale für die gefallenen und vermissten Helden aufgestellt.
In den sonntäglichen Andachten der „Todesangstbruderschaft“, welche damals üblich waren, wurden monatlich einmal die gefallenen Helden alle vom Pastor mit Namen genannt.
So blieb der „Hurra-Patriotismus“ erhalten. Auch Kriegervereine trugen dazu bei. Diese marschierten bei allen Ortsfesten und Umzügen der Nachkriegszeit vor allen anderen Vereinen und waren maßgeblich an der Gestaltung der Ortsfeste beteiligt.
Es gab aber auch „Alte Kämpfer“, welche auf Grund ihrer schweren Verwundungen nicht mitmarschieren konnten. Sie hatten an vorderster Front, wie man damals sagte, in der Scheiße gelegen und die Schnauze voll. Zu diesen gehörte der Gemünder Bahnbeamte Walter Kämper. Er war als junger Mann mit Begeisterung in den Krieg gezogen. Er war Träger des Eisernen Kreuzes und hatte in den Kämpfen vor Verdun ein Bein verloren. Er sagte: „Statt von Helden sollte man lieber von armen Schweinen reden.“ Das durfte er aber nur im kleinen Kreise sagen und nicht allzu laut.
Bei der Geburt des Stammhalters im Jahre 1920 fragte die Hebamme: „Freuen sie sich nicht über den strammen Jungen?“ „Nein,“ sagte er, „ein Mädchen wäre mir lieber. Jungen sind ja doch nur Kanonenfutter!“ Er hatte Recht! Sein einziger Sohn starb im zweiten Weltkrieg 1943 als Soldat im Osten.
In Dreiborn starben von ca. 900 Einwohnern im Ersten Weltkrieg 50 Soldaten, im Zweiten Weltkrieg ca. 100 Soldaten, Männer, Frauen und Kinder.
Nach dem schrecklichsten Krieg aller Zeiten 1939-1945, in dem auch unsere Heimat zum Frontgebiet wurde, verklang dann, so wollen wir hoffen, das letzte „Hurra Viktoria!“.
Vor 100 Jahren, 1914 begann der Erste Weltkrieg. Grund genug für das „Geschichtsforum Schleiden“ sich um die Sichtung noch vorhandener Aufzeichnungen über die damalige Zeit in unserem Raum zu bemühen. Durch die Flut von Daten über den Zweiten Weltkrieg könnten sonst „Patriotismus“ und „Elend“ des Ersten Weltkriegs in unserer Heimat vergessen werden. Die den beiden Weltkriegen vorangegangenen Kriege, welche man fast als Scharmützel bezeichnen könnte, sollen als Stimmungsbilder in der damaligen Zeit, wo man aus einem Krieg in den anderen schlitterte, nicht unerwähnt bleiben.
Quellen: Archiv der Gemeinde Dreiborn Dr. Klein Dreiborn Josef Fesenmeyer Schleiden Jakob Büchel Schleiden Erich Giermann Schleiden Hermann Hinsen Schleiden Tillmann Müller Gemünd Walter Hanf Hollerath