Scheuren im Wandel der Jahrhunderte

… ein Aufsatz zur Scheurener Geschichte recherchiert und aufgeschrieben von Alfred Wolter anlässlich der Scheurener 700-Jahrfeier im Jahr 1989!

Scheuren im Wandel der Jahrhunderte

von Alfred Wolter

 Was Heimat bedeutet, wird erst manchem klar, wenn er die Heimat verliert.

Wer wenig über sein Zuhause weiß, hat oft kein ausgeprägtes Heimatgefühl. Nun, was man nicht kennt, kann man nicht lieben. Es lebt sich aber besser, wenn man sich in seinem Dorf daheim fühlt.

Die Scheurener fühlen sich in ihrem schmucken Dorf wohl, sonst würden sie dieses Fest nicht feiern. Gemeinschaftssinn und Opferbereitschaft der Scheurener Bevölkerung haben dazu beigetragen, dass der Ort sich heute in einer sehr gefälligen Art präsentiert.

In dieser Erzählung soll versucht werden, aufzuzeigen, wie es in den vergangenen Zeiten hier auf dieser Höhe gewesen ist. Wie die Menschen damals lebten. Manches, was vom Hören-Sagen zu uns gedrungen ist, bringt verlässliche Kunde von dazumal.

Auch die Flurnamen raunen, wenn man richtig hinhört, von Begebenheiten und geschichtlichen Ereignissen, welche gerade hier auf dem Berg oft bis in die Römerzeit zurück reichen.

Bedingt durch die Abkehr der dörflichen Bevölkerung von der Landwirtschaft und durch die Flurbereinigung sind viele Flurnamen in Gefahr, der Vergessenheit anheim zu fallen. Das darf nicht sein.

Hier ist ein Feld, wo noch so fleißigen Historikern manches verborgen bleiben muss. Nur der Einheimische, der unsere schöne Sprache beherrscht, kann in vielen Fällen ergründen, worauf die alten Namen weisen.

Die Berger

Bevor wir nun mit großen Schritten durch die Zeiten und die Fluren unserer Heimat eilen, ein paar Worte zum Berger Menschentyp.

Man hört immer wieder, dieser Typ ist rauh aber herz­lich. Heimatverbundenheit, Treue, Liebe zu den Musen werden ihm nachgesagt. Doch vor allen Dingen heißt es:

Die Berger können Feste feiern.“

Der Clan derer von Scheuren gehört seit eh und je zu diesem Bergervölkchen. Wo wir neben den Schürenter, die Drommerter, die Bereschter, die Ettschelter, die Meherenter, die Muhschpieher und die alten Wollsiefer finden. Die letzteren und ihr Schicksal sind bei den Berger Leuten nicht vergessen. –

Historische Infrastruktur

Nicht weit von dem Punkt, wo heute die von Scheuren kommende Straße in die Straße Herhahn-Dreiborn ein­mündet, kreuzte schon in der Römerzeit ein aus Belgien über Konzen-Einruhr führender Weg die Römerstraße Köln-Reims, welche von Herhahn in Richtung Dreiborn verlief.

Der von Einruhr am Heilstein vorbeiführende Weg ging durch den heutigen Ort Scheuren. Hier an der Ley vorbei nach Schleiden, von dort nach Sistig und weiter nach Trier.

Im Mittelalter wurde dieser Weg in unserer Gegend die Konzer Gasse genannt.

Dieser Weg ist wahrscheinlich dafür maßgebend gewesen, dass die Vorheiz Scheunen, von welchen Scheuren seinen Namen ableitet, hier erbaut wurde.

Da Scheuren auch schon relativ früh auf den Landkarten zu finden ist, wird hier eine Einkehrmöglichkeit für Fuhrleute vermutet. Also ein Wirtshaus, wo Pferde und Fuhrmänner nach anstrengender Bergfahrt verschnaufen konnten.

Was die Straßenkreuzung von Römerstraße und Konzer Gasse betrifft, so ist noch nachzutragen, dass an dieser Kreuzung im Mittelalter der Galgen der Herrschaft Dreiborn stand, zu der Scheuren gehörte.

Bis zur Errichtung des Flugplatzes Vogelsang hieß die Flur dort: „Am Galgen“.

Unterhalb von Scheuren, am Scheurenter Berg, in Richtung Schleiden, fließt der Diefenbach. Das war ein Scheckenbach, was nichts anderes als Grenze bedeutet. Hier scheidet der Bach schon in fränkischer Zeit den Zülpich-Gau vom Eifel-Gau. Scheuren gehörte zum Zülpich-Gau; Schleiden zum Eifel-Gau. Diese Grenze läßt sich fast 1.000 Jahre zurückverfolgen. Im Jahre 1060 war der Bach Grenze des Dekanats Zülpich. Große Territorien grenzten hier im Laufe der Jahrhunderte über ihre Lehnsherren aneinander: Um 1400 Böhmen an Jülich, 1450 Jülich an Burgund (das heutige Benelux-Gebiet), 1504 war hier Grenze zwischen Jülich und Kastilien. Um 1600 grenzten Jülich und Spanien am Diefenbach aneinander. Um 1700 war der Bach Grenze zwischen Rhein-Pfalz und Spanien. Vor der französischen Besetzung inder Rheinlande war hier 1794 Grenze zwischen Österreich und Bayern.

Im 19. Jahrhundert sank diese fast 1000-jährige Grenze am Scheurener Berg zur Gemeindegrenze herab. Der Bach war nur Grenze zwischen der Stadt Schleiden und der Gemeinde Dreiborn.

1940 wurde das Gebiet der Stadt Schleiden vergrößert und die Gemeinde Dreiborn verkleinert. Die alte Grenze existierte nun nicht mehr. Die Scheurener und die Ettelscheider gehörten nun zu Schleiden. Nach der kommunalen Neugliederung gehören alle Höhenorte zur Stadt Schleiden. Alle sind Stadtmenschen geworden. Selbst die Dreiborner! Wer hätte das gedacht?!

Der Name Scheuren

Wenn man den Namen Scheuren unter die Lupe nimmt, erkennt man noch die Verwandtschaft zwischen Schüren und Schuren. Schuren bedeutet: Mer oss om drüe; unterm Dach und Fach. In einer Schür ist alles geborgen vor Wind und Wetter, schlechten Zeiten und dem Winter kann man bei voller Scheuer getrost trotzen. Schutz und Trutz könnten die Scheurener sich auf ihr Wappen schreiben.

Bevor wir nun zu den Daten und Fakten kommen, begeben wir uns ins geschichtliche Dunkel: in die Steinzeit.

Am Heerenbroch, zwischen Patersweiher und Scheuren, wurden nämlich steinzeitliche Werkzeuge gefunden. Dort am Wolfsbruch, wo 1871 der letzte Wolf in unserer Gegend geschossen wurde, werden schon damals Jäger diese Utensilien verloren haben. Ich zweifle zwar daran, dass jener biblische Bericht sich hier auf Scheuren bezieht, wo es sinngemäß heißt: Ich will mir große Scheunen bauen, meine Vorräte gut lagern, mich zur Ruhe setzen und das Leben genießen. Ich glaube, hier auf dem Berg ist es etwas anders gelaufen.

Der Landmann durfte die Scheunen zwar füllen, die Ernte einbringen, diese bewachen und bewahren, zur Ruhe setzen durfte er sich nicht. Und die Genießer waren die damaligen Herren, welche auf Walberhof und später auf Burg Dreiborn saßen.

Da der königsfreie Hof Wallebuhre schon vor dem Jahre 1000 genannt und 1145 urkundlich erwähnt wird, ist anzunehmen, dass damals auf dem Gebiet des heutigen Ortes Scheuren schon eine Siedlung mit Lagerhäusern stand. Zumal in Richtung Scheuren-Ettelscheid Flurnamen anzutreffen sind, welche auf den königsfreien Hof Wallenbuhre weisen, z. B. Königsdell, Königsheck, Steenbachsreich (was wohl Grenze des reichsfreien Gutes bedeutet).

Auch Helligenhardt gehört zu diesen Fluren. Der Name besagt, dass es sich hier um einen unantastbaren Bannwald handelt. Zum Walberhof gehörten 4 Königshufen Land, ca. 700 bis 800 Morgen. Meist war es Schafweide mit Ginster und Wachholderbüschen bewachsen. In Herhahn ist der Flurname Opperhuf noch erhalten. In Richtung Dreiborn auf der Wasserscheide zwischen Olef und Rur war ein großes Sumpfgebiet, wo nur hier und da Kopfweiden und Erlengebüsch vorkamen. Dieses Gebiet op Grohweck wurde erst 1915 von russischen Kriegsgefangenen trockengelegt.

Diese Flur um den Neuweiher müßte richtig „des Grafen Weiden“ heißen. Denn von den hier wachsenden Weidenbäumen wurden in der Flechtkammer auf der Burg Körbe, Mangen und Wannen geflochten.

Wir wollen heute natürlich keine Grenzen mehr. Diese haben unsere Vorfahren neben anderen Drangsalen nur behindert. Es sei aber daran erinnert, dass am Scheurener Berg fast 1000 Jahre Grenze gewesen ist.

700 Jahre Scheuren

Nach unserem heutigen Wissen erfolgte die früheste Nennung Scheurens unter dem Namen Schurin im Jahre 1289. Grund genug, im Jahre 1989, also 700 Jahre nach diesem historischen Datum, ein Fest zu feiern.

Durch ein solches Fest wird die Dorfgemeinschaft gefördert. Die Eigenständigkeit des Ortes Scheuren innerhalb der Stadt Schleiden wird durch dieses Miteinander erkennbar. Die Scheurener beweisen, dass sie sich nicht als Randbürger der Stadt Schleiden fügen.

Die Scheurener Geschichte

45 Jahre nach der ersten Nennung Scheurens am 10. Dezember 1334 wird der Ort urkundlich erwähnt. In Paris kommt es zu einem Vertrag zwischen dem König Johann von Böhmen und dem Grafen von Jülich. In diesem Vertrag wird Scheuren schon als Dorf bezeichnet. Es müssen also auch schon im Jahre der erstmaligen Erwähnung 1289 mehrere Hofstätten in Scheuren gewesen sein.

85 Jahre später, 1419, wird Peter von Scheuren als Schöffe am Gericht Dreiborn genannt. Der Clan derer von Scheuren hatte zu dieser Zeit schon einen Vertreter an höchster Stelle. Dieser Peter, welcher sich nach dem Ort „von Scheuren“ nannte, muss ein wohlhabender Mann gewesen sein. Das Schöffenamt konnte damals nur von Leuten bekleidet werden, wenn sie ca. 400 Morgen Land ihr Eigen nannten.

1572 wird uns von einer sehr wohlhabenden Familie aus Scheuren berichtet. Pungens oder Pingens Grete aus Scheuren bekam 700 Taler zu Hilich, als sie Jasper Veißen aus Gemünd heiratete. Aus dem Namen Pingen geht hervor, dass diese Familie sich mit dem Abbau von Eisenstein befaße. Die Gruben, aus denen der Eisenstein im Tagebau gewonnen wurde, nannte man auf dem Berg Pingen. Ein altes Abbaugebiet bei Dreiborn heißt heute noch „Ob der Ping“. Einer von den Pingens war sogar Schultheis auf Burg Dreiborn.

Da mir aus der Zeit von 1320 bis 1545 einige zufällig erhaltene Bevölkerungszahlen aus unserem Raum vorliegen, sollen diese hier eingefügt werden, wenn auch über Scheuren keine Zahlen zu dieser Zeit vorliegen.

  • 1320 werden in Malsbenden 4 Haushaltungen genannt.
  • 1451 waren in Schleiden 68 besteuerte Hofstätten.
  • 1490 gab es in Gemünd 15 Hofstätten.
  • 1545 sind in der gesamten Herrschaft Dreiborn, welche
    aus 21 Dörfern und Weilern besteht, 272 Haushaltungen.

Noch im ausklingenden Mittelalter nennt das Schöffenweistum von Olef den Herrn von Dreiborn als einen gewaltigen Landherrn. Einen Herrn über Land und Leut, über Hals und Bauch, über den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser. Ein Herr über Wassergang, Glockenklang und Chorgesang. Dieser konnte in der Mutterkirche zu Olef einen Pater, einen Pastor, nach seinem Willen einsetzen.

Scheuren gehörte auch zur Mutterkirche Olef. An diese Zeit erinnert heute noch der alte Kirchweg von Scheuren durch das Höddelbachtal, dann durch den Höddelbusch, den damaligen Olefer Kirchenwald zur Mutterkirche in Olef.

Des öfteren gab es Zankereien, also Hoddel zwischen den Schöffen in Olef und den Herren von Dreiborn, wegen dieses Busches. Vielleicht ist damit der Name Höddelbusch gedeutet.

Von 1550 bis um das Jahr 1600 wird uns von religiösen Schwarmgeistern aus dem Höhengebiet berichtet. In Scheuren, aber besonders in Ettelscheid ist gemäß Aufzeichnungen des damaligen Olefer Pastors die teuflische Sekte der „sakrementarischen“ oder auch „Widerteufer“ genannt, anzutreffen. Einfache Bauersleute hatten sich von der kath. Kirche abgewandt. Sie glaubten, durch die Erwachsenentaufe und die Gottesverehrung im stillen Kämmerlein die ewige Seligkeit zu erlangen. Es liegen noch Prozeßakten mit namentlicher Benennung der betroffenen Familien vor. Diese, man kann sagen frommen und gottesfürchtigen Menschen, die Vorboten des Protestantismus, wurden damals des Landes verjagt. Ihre Brunnen wurden zugeschüttet und die Kamine wurden eingeschlagen. Später wurden einige junge Leute begnadigt mit der Bedingung, dass sie nicht heiraten durften. Diese Zeitepoche mit ihren Bauernaufständen und ihren religiösen Wirren ging schließlich in den 30-jährigen Krieg über.

Im 30-jährigen Krieg von 1618 bis 1648 waren auch die Berger Menschen von Mord und Pest bedroht. In den alten Aufzeichnungen ist von Einquartierungen aus aller Herren Länder die Rede. In dieser Zeit ist es rauh zugegangen. Auch über sehr strenge Winter wird aus dieser Zeit berichtet. Am 11. Juli 1654 lag hier auf der Höhe so viel Schnee, dass die menschlichen Spuren in ihm sichtbar waren.

Die Pest bedrohte die Dörfer auf der Höhe. Im Jahre 1660 wurde in Wollseifen bei jeder heiligen Messe gebetet:

Auf die Fürbitte des heiligen Rochus,
befreie uns von Sünden und
bewahre uns vor dem ungarischen Fieber.

Herumstreunende Söldner plünderten die Dörfer. 1666 wurde die Prozession nach Mariawald wegen der Pest untersagt. Doch der Burgherr konnte in diesen Zeiten das Schlimmste abwenden. Er erließ strenge Gebote und Verbote zum Nutzen seiner Untertanen. Fremde und fahrendes Gesindel wurden aus dem Land gehalten oder auf das Strengste überwacht.

Von Hexenverfolgungen ist in den Annialen nicht die Rede, obwohl es im Berger Land immer kräuterkundige Frauen gegeben hat. De Penk hoalen, de Kunst doon, Brand stillen, Blut stillen und Warzen vertreiben; der Glaube daran ist in unserer Zeit nicht ausgestorben. Der Burgherr scheint also die Leute nicht nur ausgebeutet zu haben. Mindestens in der Zeit der Hexenverfolgungen hat er sie auch beschützt. Natürlich musste der Landsmann die Scheunen des Herren füllen, die Ernte zu seinem Nutzen einbringen. Die Parole „Wohlstand für alle“ war damals noch unbekannt.

Die Schafbauern gehörten zu den bessergestellten Leuten. Schafweide war reichlich vorhanden. Nur in den Tälern, wo man wässern konnte, und auf bevorzugten Lagen, war der Graswuchs nennenswert.

In Scheuren ist der Heuberg heute noch als damaliges Grasland zu erkennen. Die Parzellierung des Nutzlandes war so klein, dass es Parzellen gab, tragend einen Harpen, d. h.: Man konnte die Ernte in der Kippe nach Hause tragen. Auf der Höhe zwischen Ettelscheid, Scheuren, Dreiborn und Herhahn wuchs als alleinige Feldfrucht nur Hafer.

Um an Bargeld zu kommen, wurden Kramerzvögel gefangen und zu den Märkten in Eupen und Aachen getragen. Auch die Imkerei wurde betrieben. Der Berger Kappessamen war damals weit und breit als sehr gut bekannt. Diese ließ man auf besonderen Parzellen heranreifen. Der Flurname „Em Kühljard“ zeugt noch von der Scheurener Kappessamenzucht.

Mancher Landmann versuchte sich mit der Ochsenzucht und bot seine Ein- und Zweispänner auf dem Schleidener Markt zum Verkauf an.

Die Lästerer sagten zwar dem Berger Völkchen keine allzu große Beweglichkeit nach. Man sagt ja heute noch:

Wer et kreejen well mot leehen,
der moss halden Schoof on Beehen.

Böse Talmenschen sagten, dem Berger wäre der Genster över der Dörpel gewachsen. Und das hätte ihn keines­wegs gestört. Mit Dörpel bezeichnete man den Schieferstein unter der Haustür; auch „Hussteen“ genannt. Am Dörpel begann das Hausrecht. Anderswo sagt man: Mein Haus ist meine Burg. Der Berger sagte: Du köss mir nett över der Dörpel, oder: Noch een Wort, on du flüchs över der Dörpel. Wie schon gesagt, es handelt sich um einen behauenen Schieferstein, welcher an der Leykaul gebrochen wurde.

Noch bis ins 19. Jahrhundert hatten gutgestellte Leute den Küchenboden mit Schieferplatten ausgelegt. Ansonsten war dort festgestampfter Lehmboden anzutreffen. Ein weiterer Nebenverdienst der Berger Leute war die Eisensteingewinnung. Die Eisensteinkuhlen waren in den Fluren um Scheuren, Ettelscheid und Dreiborn allenthalben anzutreffen. Wo die Flurnamen Gronnekuhl, Scherpeschkuhl oder ähnlich heißen, da kann man annehmen, dass einmal Eisen im Tagebau gewonnen wurde. Als diese Kuhlen, wie schon gesagt, Pingen genannt, überhand nahmen, tat der Burgherr etwas für den Umweltschutz. Er verfügte, dass diese Gruben nach der Ausbeute wieder verfüllt werden mussten.

In den Eichenhardten um Scheuren waren die Köhler am Werk, besonders auf dem Meierling. Die Holzkohle wurde von den Schleidener, Blumenthaler und Kirchseiffener Reidtmeistern und Eisenhüttenbesitzern gut bezahlt. Besonders in der Franzosenzeit, wo die Rheinlande zu Frankreich gehörten, war die Schleidener Talsarbeit, wie das fertige Eisen genannt wurde, sehr begehrt. Die damaligen Parolen: „Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit“ haben die Scheurener nicht aus der Ruhe gebracht. Es heißt zwar, sie wären gute Franzosen gewesen, wie alle Eifeler – das lag daran, dass die Feudalherrschaft aufgehoben und die Unterdrückung durch die Burgherren abgeschafft wurde. Doch als junge Leute mit Napoleon nach Rußland marschieren mussten, ist von der Begeisterung für Frankreich nicht viel übriggeblieben.

Nach Waterloo, am 3. April 1815, ist Scheuren dann der Krone Preußens zugefallen. Es gehörte zur Gemeinde Dreiborn, Kreis Gemünd, im Großherzogtum Niederrhein, in militärischer Hinsicht zum 25. Landwehrregiment.

Damals wohnten in Scheuren 103 Seelen in 22 Häusern. In Ettelscheid wohnten 94 Seelen in 18 Häusern. Obwohl die Preußen für die Eifel taten, was sie konnten, war man über die preußische Ordnung gar nicht erfreut. Straßen und Schulen wurden zwar gebaut; die Fichte musste zwangsweise angepflanzt werden, die Höhen und Hardten ergrünten wieder. Aber das bedeutete weniger Schafweide. Und wenn die Kinder zur Schule mussten, fehlte ihre Arbeitskraft. Aber es ging aufwärts und mit der Zeit sagten viele: „Endlich haben wir ein Vaterland“ und ließen sich den Bart nach Kaiser-Wilhelm-Art wachsen. Als der Kronprinz bei seiner Eifelreise Scheuren passierte, war das Dorf geschmückt und der Jubel war groß. Der gemeinsame Triumpfbogen der Berger stand an der Straßenkreuzung „op Grohweck“. Doch wenn auch der Jubel groß war und die Kinder sangen: „Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands“.

Während von Wollseifen die Kirchenglocken erklangen, so läuteten in Dreiborn die Glocken nicht. Der Pastor hatte dem Küster den Kirchenschlüssel verborgen. Eines protestantischen Prinzen wurde damals in Dreiborn nicht geläutet. Ob man nun für die Preußen war oder nicht, sie brachten den Aufschwung.

Die bäuerlichen Betriebe hatten bald den neuen Pflug, welcher den Boden nicht nur aufritzte, sondern in die Tiefe ging und die Erde schollenweise umwarf. Dieser Pflug wurde liebevoll „Et Schöppemännche“ genannt. Nun wurde gerodert und geackert. Die berühmten Scheurener Plattnieren, eine wohlschmeckende Kartoffelart, konnte bis Aachen und Köln verkauft werden.

Der Kunstdünger kam, die Alten sagten zwar: „Dat oss et Jeld in der Dreck geworpen“, aber die jungen Bauernsöhne erkannten bald, dass nun auch auf den ruppigsten Böden Ernteerträge zu erzielen waren. Die Scheunen wurden größer. Die Straßen und Wege wurden verbessert. Die Pferdepost verkehrte zwischen Schlei­den, Gemünd und Monschau. Der Telegraph war auf den Poststationen eingeführt. Man konnte sich gegen Feuer versichern lassen, aber nur in vollem Umfang, wenn man das Strohdach durch ein Dach mit „Firmenicher Pannen“ einwechselte.

Wer etwas auf sich gehalten hat, abonnierte die Zeitung.

Wenn ein Scheurener, Ettelscheider oder Drommerter Junge in Berlin bei der Garde gedient hatte, sprach er den Rest seines Lebens Hochdeutsch. Er hatte die Welt gesehen und konnte im Dorf ein gewichtiges Wort mitsprechen.

Im preußischen Krieg gegen Österreich waren ca. 30 junge Männer aus der Gemeinde Dreiborn dabei. Soviel mir bekannt ist, kehrten alle wieder heim. Im Krieg 1870/1871 kehrte aus Dreiborn einer nicht zurück.

45 Jahre war nun Friede im Land. Der Kaiser versprach glückliche Zeiten. Was daraus geworden ist, ist allen bekannt. Es ging zwar aufwärts, aber 1914 bis 1918 kehrten Trauer und Leid in den Familien ein.

Nach dem 1. Weltkrieg wurde das elektrische Licht in den Heimatdörfern modern. Die ersten Wasserleitungen wurden in Hand- und Spanndienst und in Eigenregie auf den Höhendörfern angelegt. Mit der Landwirtschaft ging es wieder bergauf. Wieder einen neuen Pflug per Selbstfahrer mit 2 Pferden gezogen sah man nun im Feld. Am Selbstbinder waren bei der Getreideernte 3-4 Pferde vorgespannt.

Die Mähmaschine ratterte durch die Wiese. Ihre Geräusche waren kilometerweit zu hören. Lärm und Qualm gehörten damals noch zum Fortschritt.

Der zweite Weltkrieg kam und unsere Heimat wurde zum Schlachtfeld. Die Dörfer wurden zerstört. Auch die Scheurener mussten im Granatfeuer ihr Dorf verlassen. Viele starben – die Toten wurden nicht vergessen. Aber trotz Trümmern, Not und Tod, trotz verminten Feldern und Wäldern ging auch in Scheuren das Leben weiter. Aus dem Schutt des Krieges mauserte sich Schritt für Schritt mit viel Fleiß und Opferbereitschaft ein Eifeldorf, das sich sehen lassen kann.

Die Scheunen sind im Dorf zwar nicht mehr so wichtig wie früher. Aus den meisten Scheunen wurden Autogaragen, eine Forderung der neuen Zeit, unserer Zeit, die eines Tages auch der Vergangenheit angehören wird. Wir hoffen, dass die Enkel einst sagen werden: Unsere Großeltern haben das Beste aus ihrer Zeit und in ihrer Zeit gemacht.

Ganz bestimmt werden die Nachkommen der Scheurener sagen: „1989, da haben sie ein Fest gefeiert, den 700. Geburtstag des Dorfes“.

… wie die Alten sungen

Ja, Feste feiern, das haben die „Alten“ gekonnt. Und wir, die Zeitgenossen hoffen, dass in den kommenden Zeiten nur gut gesinnte Menschen in Scheuren över der Dörpel kuhn, die jehr gesehn sen.

Dass hier in Scheuren noch manches Fest gefeiert wird, vor allem gemeinsame Dorffeste, welche den Zusammenhalt fördern. Damit der Spruch sich bewahrheitet: “Wie die Alten gesungen, so zwitschern die Jungen“.

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