Fallstock, Finanzamt, Fellhäuschen. Ein Gang über die untere Schleidener Straße vor etwa 70 Jahren. Die heutige Bundesstraße 265 in Gemünd folgt von der Ampel bis zum Beginn des Nierfelder Auel dem Verlauf der Olef. Dies war bis vor ungefähr 60 Jahren noch nicht der Fall. Der folgende kleine Beitrag soll einen Rückblick auf die knapp 200m lange Strecke zwischen der zentralen Kreuzung und dem Bahnübergang liefern. Dabei hilft neben der Erinnerung des Autors Grevens Adressbuch aus den Jahren 1952 und 1958 – einer Zeit, in der Datenschutz noch ein Fremdwort war.
Wenn wir bei dieser Zeitreise von der Kreuzung ausgehend zunächst der linken Straßenseite folgen, so begegnete uns zunächst die Bäckerei und das Cafe von Martin Poth, es folgte die Metzgerei von Martin Reimann, der entsprechend seiner ostdeutschen Herkunft vor allem „schmackhafte schlesische Wurstwaren“ anbieten konnte. Das 1907 erbaute Haus war in der Vorkriegszeit im Besitz der jüdischen Familie Herz. Daneben stand vor dem Krieg das große Fachwerkhaus Wilden. An dessen Stelle hatte in der Nachkriegszeit Hubert Möhrer seine Schuhmacherwerkstatt und sein Schuhgeschäft. Wenn man einen kleinen Innenhof links hatte liegen lassen, musste man eine Treppe ersteigen, um in den Bäckerladen von Richard Schmidt, vorher Hilger, zu gelangen. Dahinter kam die Hefehandlung von Johann (Scheng) Löhe, dessen kleiner Lieferwagen unverkennbar war. Zu den beiden nahegelegenen Bäckereien (in der Vorkriegszeit sogar drei) waren also keinerlei Transportwege nötig. Nach dem Wohnhaus der Familie Schreiber folgten dann Lager und Werkstatt von Dachdecker Heinrich Mager, bevor links der Steinweg abbog, der auf den Kreuzberg und den Forst führte. Von da an bis zum Bahnübergang erstreckte sich dann Wohnhäuser, teilweise noch mit Werkstätten verbunden. Es waren der Reihe nach Häuser der Familien Karls, Hubert Pfeil, Peter und Josef Pfeil, Schröder und Nettersheim, Die Reihe schloss ein noch kriegszerstörtes Gebäude ab, das damals lange der Renovierung harrte.
Gehen wir nun auf die rechte Straßenseite. Zunächst trennte – wie heute – eine Bruchsteinmauer die Straße von der Olef. Dann öffnete sich weit der so genannte Königshof – eine unbefestigte große Fläche, von alten Kastanien bestanden. Anfangs nur selten war die Litfaßsäule an der Ecke mit Reklame beklebt. Imposant erhob sich dann das Finanzamt – eines der wenigen öffentlichen Gebäude in Gemünd, welches zwar deutliche Kriegsspuren aufwies, aber wenigstens halbwegs nutzbar war, daher anfangs mehrere andere Funktionen (z.B. Post, Amtsgericht, Stadtverwaltung) beherbergte. Hinter dem Wohnhaus der Familie Wergen lag dann an der Straße der Laden, ein wenig zurückversetzt die Wohnung von Familie Josef Louis, der sowohl als Elektriker wie auch als Heizungsbauer firmierte. Danach schob sich das Haus von Heinrich Weimbs weit in die Straße hinein – ein echter Engpass, gefährlich für Fußgänger, kompliziert für den ständig wachsenden LKW-Verkehr
Dort, wo heute die Querstraße zum Verkehrskreisel führt, befanden sich Nutzgärten – bei den damaligen Lebensverhältnissen selbstverständlich intensiv genutzt. Das Doppelhaus der Familien Hickert/Hilgers war das letzte vor dem Bahnübergang. Dieser war durch eine manuell betriebene Schranke gesichert. Schrankenwärter Nikolaus Meyer kam allmorgendlich zu Fuß von Nierfeld in das kleine Holzhaus, das im Telefonkontakt mit dem jenseits des Tunnels gelegenen Bahnhof stand. Seitlich dieser Hütte lag der „Schütt“ – eine aufgeschüttete Fläche, die entstand, als um die Jahrhundertwende eine Schmalspurbahn eingerichtet wurde, welche von hier aus vor allem das Material zum Bau der Urftsee Staumauer transportierte.
In den 50er Jahren unterhielt Johannes Thur, Bahnangestellter, der gleich hinter dem Übergang wohnte, dort ein Bienenhaus. Und wenn wir nun ein Stück olefabwärts gingen, sahen wir dort auf der Abbruchkante zur Olef ein recht verfallenes, aber damals noch bewohntes Haus – das so genannte Fellhäuschen. Ob es, wie der Gemünder Heimatforscher Wilhelm Günther annimmt, in früheren Zeiten dem Trocknen von Tierfellen, die man im Fluss gewaschen hatte, diente, soll hier nicht erörtert werden.
Schließlich gilt es auch für den noch nicht erwähnten Namen, den die Gemünder diesem Straßenabschnitt gaben, Anleihe bei Günther zu nehmen: Fallstock. Der Name, der bereits 1574 als Straßenname erwähnt wurde resultiert daraus, dass hier ein Fallgatter in der Umzäunung des Ortes bestanden haben soll.
Ob zutreffend oder nicht – mit dem Bau der heutigen B 265 gingen alle drei im Titel genannten Lokalitäten ins Reich der Geschichte Gemünds über. Ein Beitrag von Norbert Toporowsky