»Kell, Huch und Fuhr« – Eine Zeitreise führt uns in den Ort Nierfeld vor etwa 70 Jahren. Dazu müssen wir die heutige Tränkelbachstraße mit allen Nebenstraßen und die Egelstraße ganz aus unserer Vorstellung streichen. Der gesdamte Bereich zwischen der Bundesstraße und dem Fuß des Hangs in Richtung Osten war unbesiedelt. Dafür verantwortlich war vor allem die Tatsache, dass sich am unteren Ende des Hangs das herabfließende Wasser zunächst sammelte. Von der Frohnenbach am Ortsrand von Olef bis zum Hasselbach vor Gemünd zog sich so eine unterschiedlich breite Feuchtzone dahin, die jede Bebauung, aber auch eine lanwirtschaftliche Nutzung ausschloss. Am deutlichsten sah man das am Pützfeld – der Name erklärt sich selbst – im Bereich der heutigen Egelstraße.
Überhaupt spielten die Wasserläufe eine größere Rolle als heute: Da waren zunächst die beiden Bäche, die Flössje: Dehlenbach und Tränkelbach, der seit 1929 für die Wasserversorgung des Ortes sorgte. Von seiner Quelle bis zum Behälter im Kieferbösch war eine unterirdische Leitung verlegt. Noch viele Jahrzehnte garantierte die Wasser- und Stierwiesengenossenschaft Nierfeld für sauberes Wasser. Die (!) Dehlenbach strömte durch das Oberdorf; im Oberlauf befand sich auf der Höhe des Schießstandes ein großes Feuchtgebiet, ein natürlicher Rückhaltebereich. Beide Flössjen verliefen oberirdisch entlang von Straßen durch den Ort – mit dem Ergebnis, dass nach starken Regenfällen auch die Straßen überflutet waren.
Beide kleinen Bäche mündeten jenseits der Bundesstraße in die Olef, die als „die Baach“ bezeichnet wurde. Und zumindest oberhalb der Pappenfabrik (damals Piront) gab es noch den Graben, der Grave, der kurz nach 1900 zur sicheren Versorgung des Werkes angelegt worden war und der von Olef an durch einen Damm vom eigentlichen Bachlauf getrennt war.
Dass man der Hauptstraße eines Ortes einfach den Ortsnamen zuordnet, ist nicht außergewöhnlich. So wie z.B. in Berescheid, Morsbach, Bronsfeld oder Schöneseiffen, so heißt auch in Nierfeld die wichtigste Straße heute einfach „Nierfeld“. Vor 70 Jahren waren offensichtlich Straßennamen nicht so wichtig; alle Häuser des Ortes hatten die Anschrift „Nierfeld, Hausnummer xx“. Bevor 1962 die vierstelligen Postleitzahlen eingeführt wurden, las man auf manchem Brief auch „22 c. Nierfeld, Dorfstraße Nr. xx“.
Für die Ortsansässigen waren diese Bezeichnungen natürlich nicht wichtig. Sie unterschieden drei Straßenabschnitte: die Kell, die Huch und die Fuhr. Erstere lag im Unterdorf, die beiden anderen im Oberdorf. Die Kell begann auf der Höhe des 1958 entstandenen Kriegerdenkmals und führte in mäßigem Gefälle und leichtem Bogen zur Bundesstraße. Das Gefälle war aber hinreichend, um von den Kindern des Ortes zum Schlittenfahren genutzt zu werden. Mit dem richtigen Schwung konnte man bis auf die Höhe der heutigen Uhlandstraße gelangen – vorausgesetzt aber, man schaffte die kleine Kurve am Haus von Wilhelm Golbach („Schells Willem“), wo über viele Jahre Herr Hainke aus Kall einen kleinen Edeka-Lebensmittelladen betrieb – übrigens nur gut 100 m entfernt vom zweiten Laden von Sophie Jenniges. Zwei Geschäfte im kleinen Nierfeld – heute unvorstellbar! Die Herkunft des Namens Kell liegt wie bei den übrigen Straßen und bei vielen Flurnamen im Dunkeln.

Wie steil die Huch war, konnte man z.B. bei den Kanalisierungsarbeiten Anfang der 1970er Jahre sehen (Sammlung K. Strauch
Im Oberdorf hieß die von der Höhe herabführende Straße die Huch. Sie war wesentlich steiler und unübersichtlicher als die Kell. Ihren Ausgang nahm sie unterhalb des Steinbruchs und des Spritzenhäuschens der örtlichen Feuerwehr. Sie stieß am unteren Ende auf den Lauf der Dehlenbach. Von hier aus konnte man entweder nach rechts dem Bachlauf folgend in Richtung Bundesstraße abbiegen oder nach links bachaufwärts wieder auf die Höhe gelangen. Und dieses Straßenstück parallel zum Bachverlauf war die Fuhr. An der Kreuzung Huch/Fuhr stand bis nach 1960 das alte Fachwerkhaus Golbach/Iven. Ihm hatte Arnold Hompesch, Stuckateur aus der Nachbarschaft, in der Eifeler Volkszeitung ein ironisches Gedicht „Das Alte Haus am Rocky Docky“ gewidmet. Die Fuhr aufwärts gelangte man bis zum „Haus Dehlenbach“, wo die Familie Gerhards eine kleine Pension betrieb.
In einer Zeit, in der die meisten Menschen zu Fuß unterwegs waren, spielten neben den Straßen die sog. Pättchen für die innerörtliche Verbindung eine große Rolle. Sie dienten einerseits oft der Abkürzung gegenüber dem Straßenverlauf, andererseits auch der Verkehrssicherheit der Fußgänger. Denn, obwohl die Anzahl der Fahrzeuge auf den Straßen wesentlich geringer war als heute, lag die Zahl der Verkehrstoten im Vergleich zur Gegenwart enorm hoch (1956 über 13.000 Verkehrstote nur im Bereich der damaligen BRD, 2023 unter 3000 in Gesamtdeutschland). Daher verliefen einige der Pättchen parallel zu den Straßen, so etwa in Nierfeld vom Unterdorf am langgestreckten Gewächshaus der Gärtnerei Geschwind und am späteren Schützenhof von Käsper Heinrichs vorbei, ehe der Weg auf die Schleidener Straße in Gemünd traf (in der Karte ①). Ähnlich war es in Richtung Olef, wo das Pättchen am Fuß des Hangs und des erwähnten Feuchtgebietes vorbei durch den Auel bis auf die Höhe des dortigen Sportplatzes verlief (②). Das Pättchen nach Gemünd diente vor allem den Kindern auf dem Weg zur Volksschule in Gemünd, das Pättchen nach Olef zumindest bei trockenem Wetter dem sonntäglichen Kirchbesuch in Olef. Aus dem Unterdorf führte ein breiterer Pfad in Richtung Forst (op de Forsch) bis zum Haus Nikolaus Meyer; er war so steil, dass er „die Alm“ genannt wurde.
Innerhalb des Ortes war das Pättchen von einem Fußgängerüberweg über die Bahnlinie gegenüber der Einfahrt zur Pappenfabrik am stärksten genutzt (③). Am kleinen Nutzgarten von Berta Iven vorbei verlief es quer über den 1953 errichteten Sportplatz, bevor es am Haus Wilhelm Mauel auf die Kell traf. Eine besonders an Sonn- und Feiertagen genutzte Pättchen-Verbindung führte direkt aus der Dorfkneipe (Meyersch Ann, später Sistigs Fritz) bis vor dem Haus Ewald Komp an der Dehlenbach (④).
Schließlich ersparte ein weiteres Pättchen Abstieg und Aufstieg von Huch und Fuhr; es nahm seinen Ausgang unterhalb des Steinbruchs hinter dem Haus Paul Hupp (Pettersch Pauels) und endete unterhalb des Hauses August Pütz (Pötz Äus) im oberen Bereich der Fuhr (⑤)Die sicherlich interessante Übersicht über die Menschen, die damals an Kell, Huch und Fuhr lebten, kann hier nicht erstellt werden. Vielleicht dass diese im Rahmen einer umfangreicheren Veröffentlichung beantwortet werden kann!